Maria Makela: Von Paaren und Paarungen. Hannah Höch und die Institution der Ehe in der frühen Weimarer Republik. In Kat. Aller Anfang ist DADA. Hatje / Kantz 2007 S. 38 ff. Makela benennt als erste Wissenschaftlerin die Tatsache der so genannten Gestrichenen Stellen. "vgl. insbes. Hille 2000. :"Die Autorin macht behutsamen Gebrauch von mehr als 40 sehr intimen Briefen zwischen Hausmann und Hüch, die in "Lebenscollage 1989" nur unvollst&azml;ndig oder überhaupt nicht veröffentlicht worden sind" S. 49 Anm. 19 In der Aktuellen Ausstellung,in der Berlinische Galerie 2007 fehlen die Bilder Vereinigungen und Zwei Köpfe ( Unsichtbare Brücke) sowie Frau unter Saturn diese Bilder nehmen das Thema des unerfüllten Kinderwunsches auf. PAGE 1 H.H. Ed.

Hannah

6.25

6.43

8.7

8.43

8.48

8.54

9.2

9.9 Raoul Hausmann an Hannah Höch. 17.2.1917. Brief. 9 Bl.hs.

Sieh, so ist es auch mit äußeren Geschehnissen. Diese Frau Michaelson ist instinktiv meine Feindin, das habe ich schon gewußt, (vor Frau v. Kardorff habe ich keine Angst)dass sie Dir in der letzten Zeit gefährlich war, ist ganz sicher. Sieh mal, die letzten Zerwürfnisse hatten öfter ihren Grund in weniger persönlichen als mehr Ordnungs- (oder bürgerlichen) Dingen. (Konflikt des Eigenen und Fremden lag hier versteckt!) In diesen Dingen und Deinen von daher kommenden Einwänden gegen mich, hat Dich Frau Michaelson, ich nehme an, ohne es zu wissen, unterstützt! Denke daran, dass, am Tag unseres letzten Zerwürfnisses, du mir die Meinung der Frau Michaelson entgegenhieltst - nicht die der anderen in der Redaktion, die mit meinen Ausführungen übereinstimmte, dass Du Dich von Frau Michaelson aus wehrtest, das dann nicht zugeben und glauben wolltest, diese Frau hat aber einen verwirrenden Einfluss auf Dich. Verhängsnissvoll war es, dass Du zu ihr flüchtetest. Sie hat Dir diesen moralischen, überlegenen, unmenschlichen Standpunkt aufgedrängt, ich höre, wie sie sagt: sie dürfen ihr Leben nicht opfern, sie müssen durchhalten, das was an ihm unsauber ist klären, wenn er sie wirklich liebt, wird er einsehen u.s.w. Das läßt Du Dir von einer Frau raten, mit der Du (wegen Schmidt-Rottluff) darüber streiten musst, ob das Nicht-Soldat-Sein zulässig oder unzulässig wäre.

Diese Frau ist mit ihrer Bürgerlichkeit nicht nur mein, sondern auch Dein Feind.

(...) Folgende Streichung ist in der Edition ungekennzeichnet.

Frau Michaelson rät Dir dreifach schlecht: ersten ganz egoistisch wie Sie es machen würde, zweitens gereizt gegen mich, weil ihr Mann im Felde ist und ich nicht und drittens unmenschlich, weil sie nicht im geringsten bedenkt, welche Folgen ihr Rat in dieser Situation (die sie nicht fühlt) für Dein Leben haben kann.Den Brief an Deine Schwester solltest Du nicht absenden, weil Du in Deiner Not und Verwirrung so falsch rietst, wie Frau Michaelson. Grete äusserte einmal, auch sie fühlte diese Widerstände, aber die Kraft ihres Herzens wäre ungebrochener. Allerdings - wie lange noch? Zu lange dürfte es nicht mehr dauern. Du hättest eben zu lange allein gehen müsen!Siehst Du, da hättest Du mit Deinen Warnungen ihrem Herzen einen Stoss gegeben - in einer Stunde, deren Gefährlichkeit Du nicht sehen konntest.(Absatz)

Frau Michaelson ist, zu ihrer Entschuldigung gesagt, blind !!!

Du, vertrau mir doch!

9.19 Aus HHE gestrichen und deshalb nicht in meinem Manuskript

10.1. Raoul Hausmann an Hannah Höch. 9./10.1.1918. Brief. Blaues Schreibheft mit 13 beschriebenen Seiten.

Im folgenden analysiert Hausmann einen vorausgegangenen Konflikt. Er wiederholt seine Vorwürfe gegen Hannah Höch

Dies voraus. - Als ich gestern (2) hinter der Tür mit Dir sprach, sagtest Du, Du erkenntest dich als Ursache des ersten Conflikts an: der spätere Conflikt aber wäre nur meine Schuld gewesen. Als Du beim zweiten Conflikt aufgestanden warst, zum Zeichentisch gingst, unruhig hin und her gingst, in Absonderung: kannst Du da wahr und wirklich behaupten, nicht gestört gewesen zu sein? Also kein schlimmes Gesichtgemacht zu haben? Ich glaube, dass kannst Du nicht. Als ich vor Dir stand, und Dir dies sagte: lächeltest Du auf einmal übers ganze Gesicht, sagtest: Komm zum Spiegel, ich will Dir zeigen, wer ein Gesicht macht! - wie Du glaubst aus innerem Ruhiger-, Besser-sein, in Wahrheit aber war das Böse, Niedrige an dieser Ummaskierung dies: dass Du mir, wie beim Ausgleich des ersten Conflikts, wo Du mir die Handlungen und Worte vom Sonntag umkehrend ins Gesicht warfst, aus Rach- und Nachgefühlen; nochmals eine Äusserung meinerseits vom Sonntag: "Du solltest in einem Spiegelzimmer wohnen um Dich besser sehen zu können6quot; umkehrend als meinen eignen Beweis gegen mich selbst gebrauchen wolltest - aus instinktmässigem Rachetrieb.

Schon beim ersten Conflikt wolltest Du die ganze Zeit über nicht sehen und glauben, dass Du Rache an mir nahmst, dafür, dass bei Dir Minderwertigkeitsgefühle nachwirkten, bis zum Ausgleich war Dein Bestreben, mir zu beweisen, dass ich nicht der sei, der zu sein ich am Sonntag behauptete - bis Du endlich nach 3/4 Stunden Deinen Widerstand einsahst - aber nicht aufgabst: denn der führte zum zweiten Conflikt, zu einer noch versteckteren Art der Rache und der Umkehrung meiner Worte vom Sonntag als Beweis gegen mich selbst. - Betrachte die Geschichte mit dem Spiegel genau - und ich glaube, Du wirst sehen müssen, dass dies ein Rachemanöver war.

Darum habe ich Dich zu Boden geworfen. Das war sehr verkehrt von mir. Das durfte ich nicht: denn jetzt hattest Du erreicht, was Du instinktiv den ganzen Abend über wolltest: mir selbst, und Die zu beweisen: dass ich nicht Wir wäre, Du nicht Vertrauen geben brauchtest, durftest, weil ich entgegen meinen Worten nicht standhielte. Hier habe ich allerdings versagt. Aber ich sah es sofort - und deshalb blieb ich und liess auch Dich nicht fort - weil ich mich wieder in der Gewalt hatte und Die Standhalten wollte. Was Du darauf 1/2 Stunde lang tatest, war nur die Consequenz des ganzen Abends: Du strebtest nur danach, mich ganz und gar zu erledigen. Ich war ruhig, das kannst Du nicht leugnen; ich bat Dich, Dich zu beruhigen, wenn ich mit Dir geredet hätte, wollte ich gehen: als Antwort tobtest Du. Endlich sagte ich, ich wolle gut sein, nichts mehr sagen; nahm dich in die Arme, küssste Dich - Du wolltest nicht. Wenn ich dann wieder böse wurde, und wieder nach Dir schlug, so war das auch unrecht - aber vergiss nicht, dass Du während dieser halben Stunde fortwährend nach mir stiessest, mir drohtest, auf nichts eingehen wolltest: trotzdem nicht nur ich mich zu beherrschen und zu erkennen hatte, sondern auch Du. - Dann hinter der Türe, wollte ich, dass Du sehen solltest, das Du am zweiten Conflikt ebenso schuld warst, durch Widerstand, oder Nicht-erkennen-wollen dieses Widerstandes, wie am ersten Conflikt. Aber Du leugnetest - und vergassest, dass Du auch zuerst 3/4 Stunden geleugnet hast. Und noch zweimal sagte ich: ich will gut sein - mach auf, - aber es war auf taube Ohren gesprochen.Wenn ich nicht gleich ging: dann war es weil mir ganz klar ist, dass mit Weglaufen, Trennen, Drohen, Fensterhinausspringen, kurz auf jede solche Art nichts getan ist, es ist alles nur Selbstrettung, Feigheit, Isolation. Ich durfte nicht gehen, nicht wie Du glaubtest, ich wollte nicht gehen. Der geringste Rest des Erlebens des Andern in sich selbst verbietet einen so leichten Ausweg. Und ich hatte mich beherrscht und bat Dich um Beruhigung wegen dieses "Andern in uns. Die Pflicht, diesen Andern in Dir herzustellen, hattest Du ebenso wie ich.Und da hättest Du Dich auch Deines Versprechens vom Sonntag, dass Du Dich besser erkennen wolltest, Deine Nachgefühle und die spezifisch weiblichen Widerstände besser beachten wolltest, entsinnen müssen. Hättest sehen müssen, dass Deine Rach- und Nachgefühle, sexuellen Widerstände Dich verleitet hatten, meine Minderwertigkeit sichtbar machen zu wollen - gerade weil ich von Dir Vertrauen verlangte - dass Dir, vielleicht gegen Dein Bewußtsein, passierte, dass Du genau in die gleiche Protestlage, Ablehnung, aus dem gleichen Antrieb kamst - wie in dem Brief, in dem Du mir schriebst: (den Brief, den ich im Princip schon wohl 10 mal erhielt von Dir) Du könntest Deinen Weg allein gehen, ohne mich; und: ich wäre Dir nicht rein wegen meiner Beziehungen zu E.S.

Und dies passierte Dir gerade deshalb, weil ich am Sonntag gut zu Dir war, und Dein, durch die Verzögerung der Periode, gestörtes Weib-Sein sich durch diese Güte (die ich mir nicht als "Verdienst" anrechne) erniedrigt fühlte - daher Widerholung und umgekehrte Anwendung meiner Einwände (gegen Dich) vom Sonntag.Ausserdem: Du sahst beim ersten Conflikt auch nicht klar den Antrieb ein, wolltest es nur "mir glauben" - daher das Weiterwirken des Antriebs, dies Nicht-klar-erkennen, nur "Glauben-wollen" wirkte gewissermassen als Erniedrigung, gegen die Du Dich weiter auflehntest. - Freilich ist mein Fehler, gerade, weil ich Deine Antriebe sah, nicht gering - aber ein Mal müsstest Du Dich auch vorurteilsloser sehen und erkennen. Und besser überwinden und schneller und besser vertrauen, trotz allem.

9.Jan.1918.

Ich erbitte dieses Heft mit einer Antwort zurück. Denke aber nochmals an das, was wir am Sonntag und Montag sprachen.

Besonders an das, was ich in Bezug auf das körperliche Empfinden, das sexuelle, und meine Schonung dieses Empfindens bei Dir (Nicht-unten-sein) sagte.Ich will aber auch an den 18.Mai 1916 (Plauen) (3)denken und an Caputh (4)im September 1917 - und noch an andres, für Dich Glauben: an das Wir, wie an das Ich muss man bei sich herstellen, von sich aus besitzen. Vertrauen, innerst, stellt jeden Augenblick den nur persönlichen Schmerzantrieb nicht etwa zurück: sonder erkennt ihn als Zerreissung dieses Wir und schaltet ihn aus. Wer nur seinem Confllikt nachgibt, entzieht sich oder will sich entziehen: der gemeinsamen Verantwortung, der Gewissheit über das Einzel-Ich hinaus.

(2) Der Brief ist an einem Mittwoch geschrieben (3) Als Hannah Höch, wie auch zum Zeitpunkt dieses Schreibens, schwanger war (4) In Caputh, einem Ausflugsziel nahe Berlin, schrieb Hannah Höch sich Anfang September 1917 ein Tolstoi-Zitat auf - als Leitmotiv für ihr künftiges Verhalten gegenüber Hausmann. (vgl. Kat.nr. 10.3 )

(Das Zitat ist nicht gestrichen und wird in Anm. 1 nachgewiesen)

10.3 Raoul Hausmann an Hannah Höch. 29./30./31.1.1918.

Brief. Blaues Schreibheft mit 10 S. einseitig beschriftet und lose eingelegt.

Raoul Hausmann an Hannah Höch. 29./30./31.1.1918. Blaues Schreibheft.

Zitatensammlng: aus eigenen Texten Hausmanns, aus Schriften von Laotse, Nietzsche, Tolstoi und aus dem Neuen Testament (Matthäus Vers 40; Lukas Kap.6, Vers 37, 41, 42)."Wenn bei der Versöhnung grossen Grolls doch noch Groll übrig bleibt, wie kann man das für gut halten? Also auch der Berufene: er nimmt die schwere Verpflichtung auf sich und lädt sie nicht dem andern auf. Wer das Leben hat, hält sich an seine Verpflichtung. Wer nicht das Leben hat, hält sich an die Forderung. Des Himmels Sinn kennt kein Ansehn der Person. Er spendet immer dem Tüchtigen."

Laotse.

"Gnade ist beschämend durch die Furcht. Ehre ist grosses Übel durch das Ich. Was heisst das: Gnade ist beschämend durch die Furcht? Gnade ist etwas Erniedrigendes, bekommt man sie, so muss man sich wie fürchten, verliert man sie, so muss man sich wie fürchten. Das heisst: Gnade ist beschämend durch die Furcht. Was heisst das. Ehre ist ein grosses Übel durch das Ich? Der Grund, warum ich grosse Übel erfahre, ist, dass ich ein Ich habe. Wenn ich kein Ich habe, welche Überl gibt es dann noch? Darum, wer in seinem Ich die Welt ehrt, dem kann man wohl die Welt anvertrauen. Wer in seinem Ich die Welt liebt, demm kann man wohl die Welt übergeben."

Laotse.

"Die Bahn ist Gefäss Alles, Schatz des Tüchtigen, Hort der Verirrten. Schöne Worte über sich bringen wohl Ehre, Schöne Taten nach ihr bringen wohl Ruhm, doch über alles: sie lässt die Verirrten. Kaisers Macht, Königs Pracht reicht nicht an Eine Rücklenkung in die Bahn. Die alten sahen ihr Höchstes in der Bahn. Warum? Weil sie gefunden werden kann durch Arbeit; weil durch sie selbst Verirrte zurückgelenkt werden in sie. Also ist sie der Menschen Höchstes."

Laotse.

"Die schwierigen Gemeinschaftsfragen gehen hervor aus leichten; die grossen Gemeinschaftsfragen gehen hervor aus kleinen."Laotse.

Evangelium Lucas 6,37: Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet auch ihr nicht verdammt. Vegebt, so wird euch vergeben. 38,: Gebt, so wird euch gegeben. Ein voll, gedrückt, gerüttelt oder überflüssig Maass wird man in euren Schooss geben; denn eben mit dem Maass mit dem ihr messet, mit dem wird man euch wieder messen, 41; Was siehest du den Splitter in deines Bruders Auge, und des balkens in deinem Auge wirst Du nicht gewahr? 42;oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: halt stille mein Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuvor den Balken aus deinem Auge und siehe dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst."

Christus.

Evangelium Mattheus, V.40,: Und so jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. 41, Und so sich jemand nötigt eine Meile, so gehe mit ihm zwei."

Christus.

"Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken der Zukunft, jener Zukunft die ich schaue. - Euer Kinderland sollt ihr lieben, das unentdeckte im fernsten Meere! Nach ihm heisse ich eure Segel suchen und suchen! Oh! wie viel Meere rings um mich, welch dämmernde Menschen.Zukünfte! Wie vieles ist noch möglich!"

Nietzsche.

Volllkommen entstellt das Folgende durch Auslassen dieser Zitate davor. Hausmann stellt sich doch in eine Reihe mit ihnen!!!(DG)

10.9 Raoul Hausmann an Hannah Höch. 23.3.1918. Brief. 2 Bl.hs.

Nach einer dramatischen, teilweise auch handgreiflichen Auseinandersetzung rechtfertigt sich Raoul Hausmann und macht Hannah Höch Vorwürfe, ihrem Bruder Danilo, den sie ins Vertrauen gezogen hatte, Falsches berichtet zu haben. Er empfindet ihr Verhalten als Verrat.

23.März 18.

In dem Augenblick, als ich die Tasse zerschlug, war der Tisch zwischen uns - von einem Mordversuch, wie Du Deinem Bruder erzähltest, kann keine Rede sein. Die Tasse zerschlug ich, weil Du nochmal Deinen Vater verteidigtest - Wissen um Sexualität kann man doch das nicht nennen, wenn er sich ähnlich angefasst haben sollte, wie ich Dich gestern auf der Treppe - oder handelt es sich nur um das "jagen" die Treppe hinauf? Dass Du Deinem Bruder diese Schilderung machtest, die er mir gab, ist der ungeheuerlichste Verrat. Wenn Dir tatsächlich leid getan hätte, dass Du unwahre Dinge ausspieltest, oder wenn Du Dir Mühe gegeben hättest, zu sehen, dass du Dich gegen mich hinter der Familie versteckt hast - dann hättest Du nie in der Art Danilo holen können. Er musste unbedingt wissen, dass ich Sau gesagt habe? Hast Du gar keine Regung für mich? Warum versuchst Du immer alles so zu drehen, als wollte ich nichts von Dir wissen - wo es doch umgekehrt ist? Du mich nicht an Dich herankommen lässt, aus Hass vergesslich wirst und die Tatsachen fälschst? Und Vormittag warst Du auch "unschuldigÓ? - Ich will Dir diesen Verrat verzeihen, aber ich glaube, Du hast Deinen Bruder absichtlich geholt, um meine bewiesene Roheit als Trennungsgrund zu haben.

Antworte.

R.

Rest? Drin oder nicht drin?

10.11 Raoul Hausmann an Hannah Höch. 27.3.1918. Brief. 2 Bl.hs.

Hannah Höch hielt sich aus Angst vor Raoul Hausmann versteckt und suchte Schutz bei ihrem Bruder. Raoul Hausmann versucht sein Verhalten zu rechtfertigen.

27.März 18.

wenn ich von dir getrennt sein muss, bin ich kein Mensch. Ich liebe Dich nicht nur körperlich - ich habe fortwährend Sehnsucht nach Dir.

Wenn Du jetzt nach Gotha fahren würdest, um Dich zu erholen - und dann, wenn du wiederkommst ein wirklich neues Leben mit mir beginnen wolltest - darf ich das nicht glauben? Begreife doch das Eine: ich schlug Dich nur, weil dies das letzte Mittel ist, einen Weg zu Dir zu finden - Du bist so ironisch, warst so naiv-böse in Deiner Verteidigung Deines Vaters, dass ich mir nicht anders helfen konnte. Wenn Du leidest, bist Du menschlich, aber gegen diese ironische Bosheit, die Tatsachen vergisst, um ihren Angriff zu verschleiern, gegen die kann ich nur rasen. Und wenn ich zu brutal war - ich fühlte das nachher während des Wartens selbst - so hättest Du ja Deinen Bruder holen können - aber was musst Du ihm erzählt haben, dass er am nächsten Tag am Telephon grob wurde - gerade ihm erzählt, der ganz gegen Deine Freiheit ist - ein richtiger, naiver Mann. Der Verrat lag darin, dass Du ihn als "Schutz" bei Dir über Nacht liessest. Garnicht daran denkst, dass ich noch am Vormittag sagte: ich kann verlangen, dass Du keine Angst vor mir hast; nicht in Gedanken mich verrätst "ich werde Dich mit dem Browning schlagen", garnicht daran denkst, Dein Bösesein als solches einzuschätzen - Du "sprachst" nicht mit mir; du hast mich an Deine Familie verraten, mit jedem Wort und mit der Flucht erst recht. - Willst du mich wirklich garnicht mehr - versuche doch noch einmal für mich zu sein, statt für Gotha?

Schreibe mir doch ein Wort!

Wenn auch Du im schlimmsten Zusammenbruch Leben siehst, wie ich, nicht nur erleidest - Du sagtest das - dann muss ich noch glauben.

10.16 Raoul Hausmann an Friedrich Höch jun..

10.4.1918. Brief. 1 Bl.hs. mit aufgeheftetem Zeitungssausschnitt.

(in dem beigefügten Zeitungssausschnitt wird eine Entscheidung des Kammergerichts wiedergegeben. Danach sind Deutsche Gerichte für Ehescheidungen von Österreichern nicht zuständig. Im Brief wird der Ausschnitt - im Hinblick auf die Kammergerichtsentscheidung allerdings nicht ganz verständlich - kommentiert:) "Aus Beigefügtem wirst du sehen, daß es vielleicht eine Möglichkeit gibt, geschieden zu werden, wenn die Frau, als Reichsdeutsche geschieden werden will. Sie(d.i. Elfriede Hausmann-Schaeffer) will es mal versuchen".

10.April 18.

Lieber Danilo

ich danke Dir für die Zusendung des Buches, etc. und die Mühe die Du Dir machtest. - Hannah hat diese Sachen ja noch in den ersten Tagen vor ihrer Abreise zurechtgelegt. Dass sie nicht, wie bei anderen Gelegenheiten, etwas dazugelegt hat, was ich ihr direkt geschenkt hatte, ist mir ein Anlass zu hoffen, dass sie ihre Meinung über mich ändern wird, wenn sie sich erst wieder erholt hat. Sonst wollte sie mich jedesmal absichtlich mit irgendwas kränken. - Dass sie mir noch nicht geschrieben hat, erkläre ich mir daraus, dass sie ja dann auf irgendeine Art ihren augenblicklichen Aufenthaltsort verraten müsste, deshalb unterlässt sie eine Benachrichtigung. - 10.22 Raoul Hausmann an Else Michaelson. 13.4.1918. Brief. 1 Bl.hs. mit Briefumschlag.

Raoul Hausmann bittet Else Michaelson, eine Kollegin Hannah Höchs bei Ullstein, um ein vermittelndes Gespräch.

13.April 1918

Sehr geehrte gnädige Frau

Durch Hannah Höch weiss ich, dass Sie über meine Existenz in ihrem Leben unterrichtet sind. Da Hannah Höch unter sehr eigentümlichen Umständen von Berlin fortkam, und ihre ganze Familie gegen mich Stellung nimmt, mir aber diese ganzen Vorgänge so erscheinen, als entspränge sie aus einer augenblicklichen Nervenschwäche Hannah Höchs, so möchte ich Sie, gnädige Frau, sehr bitten, mir eine Unterredung zu gewähren. Ausser einer Freundin Hannahs, die ganz gegen mich ist, kenne ich hier Niemand, der ihr näher stände, als Sie. Obzwar ich Ihnen nicht vorgestellt bin, rechne ich doch darauf, dass Sie mir meine Bitte baldigst erfüllen. Ich möchte Sie nur um Discretion Hannah gegenüber bitten: In Erwartung einer zusagenden Nachricht, wann und wo ich Sie sprechen darf bin ich mit vorzüglicher Empfehlung

R Hausmann

Steglitz, Mommsenstr.54a.

10.23 Else Michaelson an Raoul Hausmann. (zwischen dem 13. und 18.4.1918). Briefentwurf hs. unvollst. vˇ: VKK Berlin. Signetentwürfe in Bleistift

Frau Michaelson lehnt ein Gespräch mit Raoul Hausmann ab.

S.g.H.H.

Sie bitten um eine Unterredung mir mir.( ... ) Doch ich glaube, Sie kommen dabei zu keinem Ziele. Sie kennen vielleicht Hannah H.s Gepflogenheit, wenn es sich um private Angelegenheiten handelt. Ich weiss ( ... ) von Ihrer Freundschaft zu H.H. ( ... ) erfuhr aber mehr von ( ... ) Ihren gemeinsamen ( ... )Arbeiten als von Ihren ( ... ) persönlichen Beziehungen zueinander. Eins glaube ich auf keinen Fall, dass sich Hannah H. bei einer Trennung von Ihnen von einer nervösen Zufälligkeit bestimmen lässt. H. ist viel zu tief und ernst, um sich von Nervosität irre führen zu lassen. Ich habe den Eindruck, als wisse sie genau was sie will u. muss, u. danach handelt sie. ( ...)

(1) Sehr geehrter Herr Hausmann

10.25 Raoul Hausmann an Else Michaelson. 22.4.1918. Brief. 1 Bl. hs. Abschrift von Hannah Höch. Dabei: Sammlung von Zitaten für Else Michaelson. 2 Bl. hs. unvollständige Abschrift von Hannah Höch.

Raoul Hausmann rechtfertigt sich erneut für sein Verhalten gegenüber Hannah Höch. Er bittet Frau Michaelson dringend, ihm den Aufenthaltsort von Hannah Höch mitzuteilen.

Hausmann stellt an das Ende seines Briefes eine Zitatensammlung mit Texten von Laotse, Weininger, Apollinaire, und einen Auszug aus seinem Manuskript: Der Mensch ergreift Besitz von sich.

Abschrift des Briefes an Frau Michelson.

22. April 1918.

Sehr geehrte gnädige Frau

ich bin durchaus nicht ausser mir. Auch sagte ich bei Gelegenheit meines Besuches zu Ihnen: Hannah hat nicht allein Schuld, sondern ich habe sogar die grössere Schuld - denn meine Erfahrungen und mein Überblick sind grösser als Hannahs; ich habe aus leidenschaftlichem wollen zu ihr sie nicht zu einer eigenen Sicherheit kommen lassen. Ausserdem hat Hannah in der Tat Angst vor meiner Animalität - diese Angst und eine gewisse Schwächung ihrer weiblichen Instinkte sind durch ihr Leben in der Familie hervorgerufen. Hannah musste mir gegenüber hysterisch werden und sein: weil meine blosse Existenz ihre bislang unterdrückten (zu Gunsten der Familie) Instinkte wieder erwachen lässt. Eine sensible Frau wird hier hysterisch werden müssen, aber ich sehe diese Hysterie nicht als Krankheit, sondern als Genesungs- und Auflösungsvorgang an. Hannah war durch mich erst zu sich selbst zu bringen - da sie sehr an ihrer Familie hängt, war dies sehr schwer. Alle Schwierigkeiten hatte Hannah nur durch mich überwinden können. Aber in letzter Zeit habe ich eben die Nerven verloren - es war, wie ich heute sehe, von Hannah das richtigste, eine räumliche und zeitliche Pause eintreten zu lassen - nun aber entsteht etwas Neues. Ich bereite einen langen Brief an die gnädige Frau vor, mit dem gesamten dazu nötigen psycho-analytischen Material, der Ihnen Hannahs und mein Verhältnis bis jetzt und die sich nun ergebende Möglichkeit eines Neuen ganz klar machen wird - ich schone mich dabei garnicht. - Da Hannah instinktiv recht hatte, eine Entfernung zwischen uns zu legen, und sie meinen dann jedesmal bestehenden Wunsch, doch sofort zu ihr zu gelangen, kennt, so war es ganz natürlich, dass sie grosse Vorsicht walten lies, und Sicherungen vorzog. Auch war sie eben durch meine letzten Fehler verzweifelt, und kann sich nun nicht mehr vorstellen, wie die Beziehungen zwischen uns sich neuer gestalten könnten: d.h. sie wird mir nicht vertrauen können, dass ich jemals Fehler einsehen werde. Sie darf aber nicht in diesem Zustand bleiben: ich weiss, dass ich ihr so viel wert war, wie sie mir wert ist. Und sie liebt mich sehr - wenn ich ihr einen wirklichen neuen Weg zeigen kann, wird sie ihn gehen. Sie ein Jahr warten lassen - da kann sie sich so verschlossen haben, dass es keine Möglichkeit zu ihr zu gelangen, gäbe - Ich will ja nur für Hannah etwas tun

Deshalb aber muss (doppelt unterstrichen) ich Anhaltspunkte haben: kehrt Hannah überhaupt nach Berlin zurück, so hat sie mich nicht aufgegeben! Ich bitte Sie dringendst, mir das mitzuteilen, was Sie von Hannah wissen: Hannah sicherte sich ja nur aus Angst vor mir (wie ihr Bruder mir sagte) - sie braucht aber keine Angst zu haben! Und das einzig Wirkliche, was man für sie tun kann, ist: ihr zeigen, dass ich sie so sehr liebe, dass sie Vertrauen haben muss - und das erwarte ich von Ihnen gnädige Frau! Ergebenst

R.Hausmann.

Wenn ich auch wüsste, Hannahs Urlaub oder Aufenthalt wäre so und so - so will ich ja nicht, was sie befürchtet: sie aufsuchen.

Hannah muss (doppelt unterstrichen) wissen, dass sie absolut zu mir gehört, für immer!

(Wann darf ich Sie nochmal sprechen?)

(noch Zitate abschreiben)

Porträt Else Michaelson. Um 1918. Fotografie. 6 x 4,1 cm. Beschriftet von Michaelson: vollständig

unretuschierte Paßbilder - schöner bin ich nicht geworden, aber schadet nichts - sie mögen mich doch! (...)

dies Foto ohne jede Ersatzangabe gestrichen

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