Meine Reise zu den Werdertagen im Weichseldelta.

Mein Ziel waren die Werdertage in Tiegenhof / Nowy Dwor Gdanski




Schülerinnen aus Neuteich/NowyStaw auf der Festbühne in Tiegenhof/NowyDw.Gd .
Die Fahrt in den Bummelzügen mit Umsteigen in Posen und Thorn verlief gemütlich, denn ich nahm immer Platz, ohne groß zu fragen. Mein schweres Gefährt wurde jeweils von polnischen Kavalieren in die Waggons gehoben. Die Kommunikation war dabei kein Problem. In Graudenz verließ ich den Zug, es war schon abends, um die schöne Strecke über Mokre hinter dem Deich Richtung Norden zu gondeln. Auf der einen Seite verschwand die rote Sonne auf der anderen erhob sich der riesige Vollmond. Schon war ich bezaubert. So fuhr ich und fuhr und fuhr, es war schon dunkel und in Grabowo unverhofft - erwartete mich Goscha (Gosia), die Tochter einer agrotouristischen Pension.am Wege. Ich erbat ein Bier, die Hausfrau bezog mein Bett. Es folgten . Dusche, verschiedene Tanten und meine Zigarette zum Einschlafen… Das Haus ist ein beeindruckendes Anwesen mit parkartigem Garten. Goscha studiert europäische Integration und ist die perfekte Gesprächspartnerin.

Am nächsten Tag, tolles Frühstück , erreichte ich gegen 16 Uhr Tiegenhof. Ich traf wie erwartet auf eine sehr sympathische Truppe und ein Straßenfest.mit Programm. Bolek Klein bei dem ich einen Tage vorher meine Kommen angekündigt hatte und der schon ganz erpicht darauf war, mich auf der Festbühne samt Fahrrad als „Touristin aus Berlin“ vorzustellen. Ich bekam wie in einer Fernsehschau ein Blumenbukett, rührend..Sigurd van Riesen war samt seinem Bürgermeister Kreuzberg und einem polnisch deutsch sprechenden Kollegen aus Hennef da. Er checkte mich ein wenig auf eventuelles Mennonitentum ab. Ich war aber ganz tapfer und versicherte, dass meine Koppersche Linie echt mennonitisch sei, wenn auch nur bis ins 19.Jahrhundert. Es gab noch den Bürgermeister der Partnerstadt aus dem Kaliningrader Oblast, der mit sechs Frauen nicht vielleicht wie ein Scheich, sondern eben in althergebrachter sozialistischer Manier anreiste. Wir aßen dann später alle zusammen. Irmgard Stoltenber aus Kiel und zwei Damen aus den neuen Bundesländern, ebenso Ehepaar Dargel nahm teil, wir analysierten die Ergebnisse des Referendums vom letzten Wochenende.

Auf der Festbühne sahen wir etwa zwanzig Siebtklässler aus Neuteich in einer perfekt choreographierten Schau. Kurz und eindrucksvoll. Danach der Seniorenclub mit Liedern. Herr Kreuzberg und ich waren uns einig, dieses Selbstbewusstsein zeigen unsere Senioren zuhause nicht. Nach einigen volkstanzartigen Nummern der Reggae-Klassiker „Before I got high“ Jamaikanische Peace Fahnen – die Afrozöpfchenperücken rutschten und alle aber auch alle begeisterten sich für „Kiffen statt Arbeit.“ Es gab keine Diskussion.. Kulturimperialismus hin und Kulturimperialismus her. Ich persönlich hatte schon 1999 in Mielenz ähnliches erlebt .Eine zwölfjährige sang „I’m a big big girl in a big big world und es macht mir gar nichts, wenn Du mich verlässt….“ Ja Mädel, meinte ich für mich, „ trainier schon mal für das Frauenleben im Westen“. Soviel dazu.
Der Ketchup Song von 2002 wurde von derart kindlich-unschuldigen Neunjährigen dargeboten. Es war zu niedlich. Abend gab es eine Miß Wahl. Ich fuhr zu Kascha, der vierzehnjährigen Tochter meiner agrotouristischen Gastgeberin in Rückenau (Rychnowy).Sie spricht fast perfekt englisch, weil ihre große Schwester in England wohnt, war bereits ebenso in Hennef als auch in Holland als Austauschschülerin. Sie mußte nachmittags in Tracht auftreten – nix mit american popsong. Hat mir direkt Leid getan für sie. In Rückenau gibt es auf dem ehemaligen Wiebeschen Hof noch einen weiteren Ferien auf dem Bauernhof Betrieb. 12 Euro die Nacht (Adressen siehe unten)
Wir hatten eine Führung durch das Werdermuseum gehabt. Sigurd van Riesen empfing einen lebensgroßen gipsernen Pferdekopf vom Hof seines Großvaters. Ich filmte. Und am nächsten Vormittag versuchte ich, noch mal in das Gebäude direkt am Festplatz zu gelangen. Es öffnete aber erst am Nachmittag. Vorher lud mich Bolek Klein noch zu sich nach Hause zum Mittag ein. Das Werdermuseum kann es mit jedem deutschen Heimatmuseum aufnehmen. Kompliment. Allerdings traut man sich an das Thema, Flucht und Vertreibung, seien es nun Kongresspolen, Deutsche oder die Gruppe der Polen von hinter dem Bug beziehungsweise Ereignisse der Nachkriegsgeschichte noch nicht heran. Da habe ich in Provinzstädten Lettlands zum Beispiel ganz anderes gesehen. Bedauerlicherweise fehlt auch jedwede Beschriftung. Abends radelte ich nach Neuteich/NowyStaw, gerade um am Beginn des Gottesdienstes in den Choral„Näher mein Gott zu Dir“ einzustimmen“. Am nächsten Morgen stoppte ich auf dem Weg nach Neuteich bei der polnischen Saatzuchtfirma Danko, die seit vierzig Jahren auf meinem großelterlichen Hof in Eichwalde /Debina eine Filiale hat.
Die Chefin unterhält sich lange mit mir, spricht gut englisch, präsentiert viele alte Fotos, die sie schon von Deutschen eingesammelt hat. Sie vermittelt mir noch einen Besuch bei Maria C, die ich umgehend aufsuche.

Maria ist in Herzberg geboren. Ihr Vater verliebte sich in ihre Mutter, nachdem diese als polnische Köchin aus dem Korridorgebiet auf seinem Gut zu arbeiten begann. Wie zahlreiche deutsche Gutsarbeiter.Ihre Eltern hatten jeweils über zehn Geschwister. Die Saisonarbeiter lebten normalerweise unter Bedingungen, die sie erniedrigend empfand, wie sie heftig betont. Ihre Mutter allerdings war durchs Arbeitsamt vermittelt. Sie bekommt dann nur noch vier Kinder. Maria reichen später zweie aus .Sie ist 1927 geboren. Ihre Eltern heiraten ein Jahr darauf. Ihr Vater musste seinen Chef mit „junger Herr“ anreden, was ihm schwer fiel, da sie Klassenkameraden gewesen waren. .Dieser bekam dann 1940 ein großes Gut in den „wiedergewonnenen Gebieten“ Es wurde auch von diesem Treuhand-Gut her allerhand nach Herzberg abtransportiert. Seine Frau bewirtschaftete den Hof währenddessen allein. Sie hatte sechs Serben als Zwangsarbeiter, die schöne Pakete vom roten Kreuz bekamen, was sie von polnischen Gefangenen unterschied. Es gab einen deutschen Wachmann, der noch mal extra untergebracht war. Die „heim ins Reich“ geholten Bessarabier hielt Marias Mutter für faule Menschen, die die Arbeit der von ihren Höfen vertriebenen Polen zunichte machten. Maria nannte übrigens wie meine Mutter die gelben Hahnenfußblüten Goldeimerchen.
Mit vierzehn zog Maria nach Rosenberg und lernte Schneiderin. 1945 rückten sie mitsamt ihrer Familie aus nach Hohenstein. Vor den russischen Soldaten musste sie sechs Monate lang beschützt werden. Sie lag zum Schein krank im Bett, mit Kopftuch und schwarz beschmierten Wangen. Ihr Bruder saß auf dem Dachfirst, um die heimkehrenden Russen rechtzeitig zu bemerken. Schnell, schnell ins Bett, hieß es dann. Sie war achtzehn Jahre und konnte kein polnisch. Anderen Mädchen wurde quer durch die Oberschenkel geschossen, wenn sie nicht die Beine breit machten. Sie kam davon. Der Bruder ihre Mutter war im ersten Krieg Gefangener der Russen gewesen und beschwichtigte nun die Russen in ihrer Sprache. Diese schickten per Post die Sachen nach Hause die sie von den Polen geklaut hatten. Nach sechs Monaten zogen sie ab. Sie vergewaltigen auch die polnischen Mädchen. In Neuteich fand Maria später Arbeit bei einem Bauern. Sie ließ Fotos machen von sich. Und während sie die ihrer Bäuerin zeigte, schnappte sich der vierundzwanzigjährige Jan C. eins davon, weil er sich in sie verliebt hatte. Er reiste zu seiner Familie nach dem Osten und zeigte sie als seine Verlobte. Sie wusste gar nicht, wie ihr geschah und vier Wochen später waren sie verheiratet. Mit dem einjährigen Sohn fuhren sie dann auf Verwandtenbesuch. Sie hat sich In der Lubliner Gegend dort“ mit der linken Hand gekreuzigt“ und sie wurden nun wie die Grafen behandelt . Das Söhnchen: “ Fass ihm nicht an, Du machst ihm schmutzig..“. Vier Cousins ihres Mannes waren als Partisanen von Deutschen erschossen gewesen. Nun brachte er ihr polnisch bei, denn sie traute sich deshalb in Neuteich kaum aus dem Haus. Ihr Sohn bekam noch Hakenkreuze auf die Jacke gemalt als er in die Schule ging. Ihre Tochter dagegen, weigerte sich deutsch zu lernen. Die Enkelin dagegen ist sogar Deutschlehrerin geworden. Maria selbst arbeitete als Laborantin in der Neuteicher Zuckerfabrik bis sie dreiundsechzig war. Neue Maschinen gab es erst um 1970 in der Fabrik. Erntemaschinen wurden in der Gegend erst gegen 1990 eingeführt. Damit begann die Arbeitslosigkeit. Vorher gingen jeweils zwanzig Arbeiter in einer Reihe durch die Felder. Sie selber hat schon als sie zwölf war mit ihrer Mama und ihren kleineren Brüdern im Akkord gearbeitet im Rübenfeld.
Noch als Rentnerin fuhr sie nach der Insel Juist in der Nordsee, um zu arbeiten.Sogar zum Spargelstechen seien ja Leute aus Neuteich nach Deutschland gefahren. Sie beginnt zu weinen, als sie daran denkt, aus welchen Verhältnissen letzten Endes ihre Enkeltochter hervorgegangen ist, die sie so sehr liebt. Und die heute mit der Lehrerin aus der Neuteicher Partnerstadt Wilster ihre Schüler austauscht.

Sie muß nun zum Geburtstagkaffee ihres Bruders, und ich bin entlassen. Unter meinem Schirm umrunde ich die Zuckerfabrik, die noch nicht von Nordzucker oder Südzucker gekauft ist. Und in der mein Großvater Vertrauensmann der Arbeiter war.

Die St.Matthäus Kirche ist ein an die Marienburg erinnernder Koloss, in der ich per Zufall noch eine Frau aus Eichwalde treffe. Sie winkt mir, die Tür zu schließen, ich mache eine deutsche Bemerkung. Worauf sie spontan in perfektem deutsch reagiert. Auf dem Heimweg nach Rückenau biege ich einer inneren Stimme folgend nach Tannsee /Swierki ab. Es gibt dort eine Fachwerkkirche, wie ich weiß und den Stammhof der Familie Schroedter, ich weiß nur nicht wo. Nach zwei Minuten bin ich in das Pfarrhaus vermittelt. Und nach weiteren zwei Minuten glaube ich einen Freund fürs Leben gefunden zu haben. Sekundenbruchteile sehe ich mich als Haushälterin dieses katholischen Priesters. In der Kirche weist eine Inschrift in goldenen Lettern auf meine Vorfahren als Stifter dieser Kirche.Er. zeigt mir alle Kleinodien des Altars . Auf zwei Leuchtern befinden sich Widmungen der Schroedters von 1788. Der Pfarrer teilt meine Begeisterung und lädt mich zum Kaffee ein. Der Fernseher läuft weiter. Er stellt sich als Westpreusse aus Lessen bei Graudenz vor, überschüttet mich mit Süßigkeiten. Wir sind fasziniert von der Situation. Ein einziges Mal bemüht er nur sein deutsches Wörterbuch, um den exakten Ausdrucke für seine Gemeindemitglieder zu finden.: Gesindel. .Ich versuche ihn zu beschwichtigen, aber habe ich hier den Durchblick? Wohl eher nicht. Er erzählt mir seine gesamte Lebensgeschichte. Ich versuche, alles nachzuempfinden.Diese Begegnung werde ich nie vergessen.
Am nächsten Tag fuhr mein Zug mit mir und meinem Fahrrad gegen halb zehn in Richtung Berlin. Ich zahlte ca 15 Euro. Mein sparsames Hausfrauenherz war angetan. In Berlin ließ ich mich einen Tage später von Herrn Held darüber aufklären dass ab Juli 2003 der Bahnverkehr in Polen eingeschränkt und vollkommen umgemodelt würde. Aber um mich meiner Mutter nah zu fühlen, werde ich natürlich unter allen Umständen wieder fahren. Und zwar bald.

Pensionen

Pensionen in Rückenau:

Agro Jaga
Jadwiga Szatkowska
Rychnowy 3 A (Neues Haus)
82-100 Nowy Dwor Gdanski
Tel 0048-55- 2 47 19 25
Tochter Kasza spricht deutsch und englisch

Orzechowy Dworek
Janusz i Halina Urbanscy
Rychnowy 18 (Wiebes Hof)
82-100 Nowy Dwor Gdanski
Übernachtung mit Halbpension
Zimmer mit Bad
0048-55-2 47 28 08
Herr Urbanscy spricht englisch

Pension in Neuteich:

Danuta i Roma Jeleniewscy
Ul. Gdanska 16 ( Neues Haus)
82-230 Nowy Staw
0048-55-2 71 50 66
vermieten fünf Zimmer.
Übernachtung und Frühstück


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