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34. Tag Samstag 24. Juli

Polangen bis Memel/Klaipeda

nach mordendlicher Beobachtung der allgemeinen Bewegung zum Strand hin, sehe ich eine Gruppe sich weg vom Strand bewegen, kleines weiß blondes Mädchen, kurze Haare dabei. Dann: an der Spitze berichtet einer ins handy: ein Österreicher!! Groß und klein begibt sich zur Übersichtstafel.

Eine gediegene Ausfahrtstraße durch den Küstenwald .Wer noch nicht am Strand ist, frühstückt sichtbar. Camping. Litauen sei ja die Basketballnation, hatte Andrej gesagt und ich mache noch ein Foto von spielenden Jugendlichen. My name is Andreas sagte Andrej. Er war in Kuba als Funker beimMilittär. Jetzt ist er Ingenieur und 33 Jahre alt. Er wanderte am Strand von Tallinn abwärts bis nach Polangen. Er ist lebhaft und ruhig sich in seiner Eigenart präsentierend. Er feuert die Rockband an und lobt sie. Er lobt auch die schöne Nachbarin am Tisch, wie gut sie getanzt hätte. Ich habe so einen Menschen noch nie getroffen. Er kennt jedes Stück das gespielt wird. Und sagt mir das und ist animiert. Er fände keine Frau, sagt er, die seinem Niveau entspräche. Ob ich Angst hätte, nachts zu schwimmen. Nein sage ich. Auf dem Weg zum Strand zeige ich ihm daß ichmeinen Badeanzug drunter habe, aber in allergrößter Selbstverständlichkeit betrachten wir das Mondlicht auf dem Meer, ich bemerke angesichts der verschiedenen Liebespaare, daß wir ja keines seien rufe dreimal Günther in Berlin an, der aber auch um Mitternacht noch nicht zuhause ist. Dann finde ich sofort "mein" Haus oder habe ich "bedroom" gesagt? Meine Distanz scheint überflüssig. ZumAbschied nennt er mich bei meinem Namen. Ende.Jetzt zwanzig Minuten später auf der Autobahn Grünstreifen reichlich Pappeln keine Sicherheitsblende.

(In Klaipeda ist Stadtfest, was auf mich unsympatisch wirkt, da es zu voll ist. Ich beginne eine 15 km lange Anfahrt auf den Fährhafen zu. Genau als ich ankomme fängt es an zu gießen und meine Begrüßung ist ein Radfahrer, junger Mann,der sich schon gestern das Ticket geholt hatte. Ich erwarte und bekomme eine äußerst freundschaftliche offene Überfahrt nach Mukran. Dies ist eines der wenigen Gemeinschaftserlebnisse, die ich auf dieser Reise habe. Der Litauendeutsche ist erst 1960 aus dem Memelgebiet gekommen, der erzählt eben mit seinem Cousin zusammen, der schon 1944 geflüchtet ist. Er ist als Dolmetscher in einem sechzigköpfigen Männerchor aus Radevormwald 1992 nach Kiew geflogen von Schönefeld aus.Dann sollte die Reise per Flugzeug noch nach Tallinn gehen. Die wollten aber in DM bezahlt werden, keine Rubelchen. Da sind sind sie mit zwei Bussen auf die Fahrt gegangen. In Tallinn am Sängerfest wohl teilgenommen. Im Hotel stand noch Polizei am Eingang . Aus ganz Europa seien da Chöre angereist Nun wollten sie auch essen. Da wurde aus Siauliai alles noch herangefahren. Ein Aal auf der kurischenNehrung kostete vomFischer privat angeboten damals 5 Mark.Heute kann man das Kilo Zander für 6 Mark bekommen. in Siauliai hätten zwei Partner ein Motel damals am See eröffnet Als der eine an die Mafia nicht gezahlt habne, flog das Anwesen eines Nachts in die Luft. Schießereien gab es zu der Zeit besonders in der Gegend da. Den Wohlstand der Litauer erklärt er sich auch nicht genau. Es sei wohl so, daß sie eben mit allem und jedem sofort handelten .Er sagt makeln.(mit kurzgesprochenem "a") seit jeher. ein Volk von Schmugglern, denke ich. Auf dem für ihn zweiten Geburtstagfest seiner Tante auf dem Land bei Tilsit feierte die ihren 86. Geburtstag Und machte am nächsten Morgendie Wasserschlacht auch noch mit, mit dem Wasser aus dem Brunnen im Hof. Alle noch in Festtagskleidung, wenn ich das richtig verstanden habe. In Polangen war Marinefest, deshalb dieser Aufstand. In meiner Kabine schreibe ich: auf diesem Schiff wurde die russische Armee abtransportiert zu Teilen. Der Herr erinnert sich an die Panzer und beladenen Eisenbahnwaggons Draußen zeigen die Wellen Schaumkronen. Welche Windstärke(yaw) das wohl ist? Nachts bin ich allein und versuche, nicht daran zu denken, welche Schiffe schon alle untergegangen sind.Foto Brücke mit Steuermann Wir haben 4 1/2 Stunden Verspätung und ich verbringe den Vormittag bis zum extra Mittagessen auf einer der nicht kaputten Liegen in der Sonne und genieße schon wieder. Könnte man sich dran gewöhnen. Alle Leute sind locker und zwar hat das mit Weltanschauung gar nichts zu tun. (Ende der Aufzeichnungen)

35.Tag Sonntag

Mittags von der Fähre dann Grenzübergang nach Deutschland Ich beginne sofort ein Beratungsgespräch mit den Grenzbeamten und bin begeistert, daß der eine uns extra drei Fotokopien macht von der Rügenkarte, damit wir auch die Fähre finden und nicht in Richtung Stralsund vom Wege abkommen. Rügen ist ja so hügelig. Michael erwähnt daß er diese rollenden Landschaften mag und ich bin glücklich. Mein Deutschland ist wohl doch nicht so schrecklich, wie ich dachte. Aus der Fremde kommend plane ich eine weiche Landung in Berlin, allerdings merke ich daß ein Mann an meiner Seite mich sofort in Verhaltensweisen der Hilflosigkeit fallen läßt. Widerstandslos überlasse ich das Kartenstudium Michael, werde zu einem kleinen Frauchen, daß beglückt hinter dem Anführer herfährt ohne irgendeine Verantwortung zu übernehmen. Ich bin so aufgeregt, daß ich mich nicht entscheiden kann, ob ich nicht doch am besten die Mutterrolle übernehme, aber ich entlarve mich. Paß auf, berufe ich Michael an einem Abzweig. Ich kann mich einfach nicht zurückhalten. Und schon ist die Antwort da. "Ja, Mama." Ich versuche, gelassen zu bleiben. Und wenigstens den Rang einer großen Schwester zu erreichen. In Berlin löst sich diese Problem dann auf konsequente Weise, indem mein Mann feststellt, daß ich eine Frau bin und zwar seine und daß ein neuseeländischer Mann sich mit dem Erreichen unserer Haustür zu verabschieden hat und auf keinen Fall irgendein Gastrecht in Anspruch zu nehmen hat. Michael findet das "understandable" und ich bin in meiner allumfassenden Menschenliebe verwirrt.

36. Tag Montag 26. Juli

über Greifswald, das beeindruckend ist wegen seiner Unzerstörtheit , nach Anklam, die Autofahrer nerven doch. Ab Anklam entscheiden wir uns angeregt durch die Angebote des Touristenbüros für den Radwanderweg über Ueckermünde, der anfangs durch Neuland führt mit Gräben, was Michael durch mein vorsichtiges Fragen angeregt doch eher langweilig findet - ich aber nicht. Er fängt dann an, einen Zahn zuzulegen, das macht ihm so einen Spaß und mir eigentlich auch. Auf den schmalen Pfaden ein gewisses Risiko. So muß es wohl sein. Mir gefallen die breiten Gräben. Ich bin eigentlich schon seit Rügen so stolz auf mein Heimatland. und ungebremst selbstbewußt an der Seite dieses jungen Mannes. Neben der Schnellstraße ist die alte Fahrstraße erhalten auf jeden Fall vor Greifswald. Ich (sehen ob Fortsetzung?)

37. Tag Dienstag 27. Juli

Bröllin bis Berlin-Bernau

130 km

Bröllin Kopfsteinpflaster 4 Kilometer dann später noch einmal Kopfsteinplaster mit Sandstreifen Röpershof an den Seen entlang noch trainierende Radfahrer getroffen Michel spurtete hinterher. Nach Fergitz mit Abhang und Hitze. Von Fergitz weiter nach Suckow. Dort abbiegen Richtung Pfingstberg. Ich war schon so durcheinander, daß wir erstmal einen km bergauf in die falsche Richtung fuhren, aber dann sehr schön an einem rechteckig geführten Graben entlang nach Pfingstberg, dann bergab über Stegelitz Temmen dann abbiegen nach Ringenwalde traumhaft schöne Strecken, so daß ich immer dachte: dies ist doch genauso schön wie in der Gegend, wo ich herkomme. Da fiel mir wieder ein, daß Deutschland dafür bekannt ist wunderschöne Landschaften zu besitzen, aber die Menschen sind eben dazu so unangenehm. Was mir schon in Schlesien durch den Kopf gegangen war. Eines der angenehmen Dinge war, daß dort Polen herumlaufen . Die stören gar nicht, eher im Gegenteil. Sie sprechen nicht mit einem. Man fängt keine Gesprächsfetzen auf, die zeigen, welche Mundart diese Menschen sprechen und über welchen Schwachsinn sie sich austauschen. Das ist nun natürlich hier in Deutschland wieder anders. Um die deutsche Sprache zu hören, frage ich alle Naselang nach dem Weg. Michael interpretiert lieber die Karte. Ich genieße in vollen Zügen die Gespräche, die ich führe. Kurz, aber kräftig. Die Leute erklären einem ungefragt, daß sie nicht weg wollen, denn sie seien hier geboren. In der Nähe Berlins nimmt der Unmut über die Westler einmal ungebremste Züge an. Ich lade Michael stolz zu Bienenstich und Kaffee ein. Er bemerkt gerade erfreut, daß seine Mutter diesen Kuchen auch backt. Da stört diese dumme Kuh die Stimmung, indem sie mir sagt, daß Leitungswasser hier nur abgekocht getrunken würde. Ich erwidere - etwas unlogisch muß ich zugeben - daß das Berliner Wasser das beste deutsche Leitungswasser ist. Als ich meine Wasserflaschen deshalb mit diesem Waser füllen lassen bzw. dann selber füllen will, weil sie diesen Service für Touristen ablehnt, versteift sie sich auf die Forderung, daß ich das Leitungswasser bezahlen solle. Ich werde lebhaft. Und Michael wird Zeuge einer Wessi/Ossi Streiterei wie sie nicht in seinem Europatourismus Führer steht.

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