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AUSSCHNITTE AUS DEM TAGEBUCH

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--Langsam mit dem Fahrrad nach Riga zu fahren bringt Gefühle nicht nur ins Herz sondern bis in den Kopf. Ich bin Historikerin, spreche weder litauisch, polnisch, russisch oder lettisch.

Ich habe jedoch ein Faible z.B für die Küche der Region, da ich aus einer Flüchtlingsfamilie komme. In Riga habe ich sehr gern Brotsuppe gegessen; zu saurer Sahne und Schnittlauch brauchte man mich nicht erst zu bekehren. Ein lettischer Emigrant erwähnte, daß er beim Frühstück immer nur die Neunaugen äße.Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Zum Kaffee hatte ich nach einiger Zeit auch wieder das Verhältnis entwickelt, daß meine Eltern früher zum Bohnenkaffee hatten. Tassenweise genießen und nicht literweise saufen.

--Im Menzendorff Haus, dem Domizil von Domus Rigensis, einer deutschbaltisch -lettischen Kulturvereinigung traf ich Frau Babette von Sass, die sich bei meinem Besuch nicht in der Lage fühlte, Kaffee zu servieren, weil jemand die Tür zur Teeküche und damit zur Kaffeemaschine abgeschlossen hatte. Herr von der Ropp tauchte aber auf und goß uns aus einem Heißwasserbereiter "Kava naturalna" auf und wir nahmen es alle gelassen und von der scherzhaften Seite. Dagegen kommentierte Nura Rutka, die Mitarbeiterin vor Ort: Wenn Frau von Sass erscheine und ihre Tagung organisiere, dann müssten sie aber springen. Und daß alle Deutschbalten sich über "Nuras Kaffee" mokierten, denn sie "wollten ja den Kaffee nicht kauen sondern trinken".

--Besonders die Anfangstage der Reise fand ich als Großstadtpflanzebesonders erholsam und eindrucksvoll Weinranken gibt es an den Giebelwänden der Häuser. Liebevoll gepflegte Blumen füllen ganze Gärten. Höfe mit Federvieh und vielen Küken. Kleine Kinder spielen versunken in der Abendsonne in ihrer Spielecke im Garten. Die Mädchen mit Schleifen im Haar.

--Im Aschka Motel fragte man beim Abschied sicherheitshalber noch mal nach, ob ich tatsächlich alleine führe. Der Wirt Ostrowski fragte in Bad Schönfließ nach meinem Reiseziel, bemerkte darauf, er komme mit nach Masuren und nach einer Weile, daß er mir den Rücken waschen würde: ein echtes Schwein. Ein Mann aus Heide/Holstein bemerkte spontan, er sei schleswig-holsteinischer Meister im 5 Kampf gewesen. Kalt ließ mein Vorhaben niemanden.

--Bevor ich die Weichsel überquere steht unverhofft eine echte Nutte rechts in einer Waldeinfahrt einsam und unverkennbar. Ich bremse, frage, ob ich Foto machen darf. Eigentlich will ich sie bloß betrachten. Frage ob deutsch - englisch? Sie antwortet, sie sei polnisch. Blond gefärbt, dick Makeup, dunkel gekleidet mit Handtasche Ich wünsche ihr auf deutsch Viel Glück. Dann kehre ich in die Bar Alexander links der Straße ein mit sehr guten Pierogi mit etwas Knoblauch und Zbiniew, achtzehn Jahre alt, der sich trotz acht Jahren Deutschunterrichts nicht an den Unterschied zwischen Brücke und Fähre erinnern kann." pram" heißt das eben auf polnisch und ich kriege heraus daß das Ding nicht fährt wegen Hochwassers. Ein betrunkener Opa holt von zuhause extra seine Brille, um mit mir nicht ersichtlichem Ziel meine Karte von 1937 zu studieren. Er ist 76 Jahre alt , küßt mir zweimal die Hand, Vater von Zbiniew guckt auch auf die Karte. Solche haben sie wohl noch nie gesehen.

--Bei der Annäherung an den Heimatkreis meiner Mutter raubt mir die schlechte Straße von Tralau den letzten Nerv. Ich muß das Rad schieben. Erstmalig kläffende blöde Scheißköter, die nicht angebunden waren. Ein in Marienburg geborener Pole sagte mir. "Ja , ich kenne Debina - leider alles Russen da " So denkt der eingesessene Pole aus der Gegend und er mag sie immer noch nicht leiden, seine vertriebenen Landsleute aus der heutigen Ukraine. Ich sehe eine Miniplaybackshow unter freiem Himmel zum Schuljahresende

--Sechs Kilometer nach Rastenburg gibt es einen Hinweis auf den Weg zur Wolfsschanze inklusive Hotel. Das fand ich anziehend, welche Leute da wohl rumziehen, dachte ich, aber es kam anders. Nach 2,3 km große verschiedenartige, selbstgemalte Schilder : Kuchen, guter Kaffee . Tereza und Jerzy kennengelernt. Ausstattung des kleinen Anwesens: ausgesprochen solide, geschmackvoll bis an Schöner Wohnen - Niveau . Film gemacht. 45 Sl inklusive Baden im See, Bier, Abendessen Wir fuhren nämlich umstandslos schwimmen. Tereza hatte schon ein kleines Bier getrunken und redetet ununterbrochen. Beim Abschied schenkt ich ihr mein Schmetterlingsportemonnaie. Tereza ist ein Frau mit Herz und raucht Golden American Light. Jerzy trinkt nicht, leider. Wir saßen bis Mitternacht draußen. Sie hatte eine große Portion Kartoffeln gemacht mit drei Spiegeleiern und Salat mit Kümmel( das sei nicht litauisch, sagt sie, aber ihre Mutter sei aus Litauen) Jerzys Vater war Deutscher. Er ist in Stettin geboren, Tereza in Kentrzin. Sie ist Bauzeichnerin gewesen bevor sie alles verkauften und sich dieses dreißger Jahre Haus erwarben. Ihr Sohn Jacek ist 17 und hat gerade eine neue Frisur: Bomberhaarschnitt.--In Olecko/Treuburg wende ich meine bewährte Oberschülerinnenmasche an, um eine englische Anwort zu erhalten. Da schaltet sich aber ein bulliger, sehr norddeutsch wirkender junger Mann ein, der sich als Fliesenleger herausstellt, der 5 1/2 Jahre in Hamburg gearbeitet hat. Es ist wohltuend zu hören, wie selbstverständlich er über seine Heimat spricht. Es würde noch immer schöner werden in Richtung Suwalki. Die zwei Berge die dazwischen lägen, würde ich wohl mit der Gangschaltung spielend schaffen. So so....

--Ein Kind spielt mit einem kleinen Hund in Litauen. Gelöst - ohne Hektik. Der Hund ist ausgesprochen niedlich wie ein Stofftier, der kleine Junge vielleicht eindreiviertel Jahre und läuft wie eben ein Kleinkind läuft. Die Atmosphäre ist gelöst und normal. Es ist nicht die Attraktion für die Mutter, daß ihr Kind die Gelegenheit hat, mit einem Hund zu spielen, besonders auch schreit sie nicht dauernd Anweisungen. Auch ist der kleinen Junge nicht affektiert.

--In Kaunas aß ich als Vorspeise geschnitzelter Käse darüber geschnitzeltes Eiweiß, danach polnische Buttermilchsuppe mit roten Beten, die hier selbstverständlich kalter Barschtsch heißt. Ich war begeistert und teilte das der Bedienung ausführlich mit, die das aber nicht begriff, glaube ich, weil ich nämlich auf englisch ihr noch zu erklären versuchte, daß das Rezept in der Brigitte gewesen war letztes Jahr und das meine Familie die Suppe zuhause schon sehr genossen hätte.

--Nach Schaulen(Siauliai) gibt es den Berg der Kreuze. Bei der langsamen Annäherung halte ich ihn zuerst für einen Schrotthaufen, dann für Land Art, aber nein: hier sehe ich das hoch spirituelle Nationalheiligtum der Litauer. Es gibt auch Kreuze aus Deutschland "Litauenhilfe mit Metallschild "Hilfe die ankommt" Das kommt mir geschmacklos vor.

--Das Entrée in den Staat Lettland : perfekt ! Erstens eine Superstraße Zweitens : eine gartenkünstlerisch schwer beeindruckende Allee: Apfelbäume in doppelter Reihe, davor noch Birken, dahinter Pappeln. Schnurgerade Richtung, ruhige Stimmung. Lettland sollte meine Wahlheimat werden, denke ich. --Ich hörte den Chor Atskana in der Petrikirche in Riga, wie eine Wolke, so leicht schwebten die Töne. Neben mir saß Ehepaar Aderkas . Ich kämpfte mit den Tränen, ein Zustand, an den ich mich während der Reise gewöhnt habe und den ich nicht mied. Danach noch in die Jesus Kirche zum deutsch-lettischen Gottesdienst. "Geh aus mein Herz" sang es neben mir und natürlich auch die ganze Gemeinde voller Freude und Inbrunst Neben mir also die beiden jungen Lettinnen. die vierte Strophe war nicht ausgedruckt und ich sang sie auswendig und meine Nachbarinnen auf lettisch auch. Ich versuchte schon wieder vergeblich, die Fassung zu bewahren.

--Ich recherchierte während der Reise zum Geburtenrückgang in Lettland, besichtigte die Entbindungsklinik in Riga und sah auch eine Geburt. Dabei bin ich eigentlich gar nicht so mutig. Einmal war es unmöglich! Ich war schon ganz abgekämpft in der Hitze am ersten Tag in Litauen. Die Anhöhen sind dort großzügig. Die Abfahrten auch, so daß ich schon nicht freie Fahrt fuhr, sondern etwas bremste. Als aber von den von der Straße zurückgesetzten Gehöften einmal ein Hundchen kam und neben mir springend bellte, da bin ich so schnell gefahren wie ich konnte, und ich konnte in meiner grenzenlosen Angst noch ziemlich schnell fahren, ansonsten habe ich mich während der ganzen füneinhalbwöchigen Reise nie in irgendwelchen Spurts verausgabt und bin heil, sicher und vollkommen glücklich wieder in Berlin bei meiner Familie eingetrudelt.

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